Tatsächlich lag die durchschnittliche geschlechtsspezifische Differenz im Jahr 2021 in der EU bei satten 13 Prozent, sprich Frauen verdienten im Mittel 13 Prozent weniger pro Stunde als Männer. Deutschland rangierte mit 18 Prozent über dem Durchschnitt. Bei der Rente gab es sogar ein Gefälle von 30 Prozent. Die COVID-Pandemie brachte eine nochmalige Verschärfung der Situation. Grund: Der Hauptanteil der durch die Kontakteinschränkungen aufgestauten Betreuungsaufgaben und Care-Arbeiten (Kinder, Alte, Kranke) wurde von Frauen aufgefangen.
Die genannte Progression war sicher nicht unerheblich dafür, dass die EU dem erst 2021 vorgelegten Richtlinienvorschlag für ein spezifisches EU-weites Entgelttransparenzgesetz 2022 relativ prompt zustimmte und die Bestimmungen schon rund ein Jahr später vom Europäischen Parlament abgesegnet wurden. Die vorliegende breite Lohndiskriminierung und das geschlechtsspezifische Lohngefälle in der EU sollen damit effektiv abgebaut werden. Lohntransparenz wird hier als wichtiges Werkzeug für die Versicherung fairer Vergütungen festgeschrieben.
Was ist die neue europäische Entgelttransparenzrichtlinie?
Die Debatte rund um eine geschlechtergerechte Entlohnung ist nicht neu. Über die letzten Jahrzehnte hat die EU kontinuierlich wichtige Impulse für entsprechende Lösungen gegeben. Da wären zum Beispiel die Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, die Gender-Richtlinien oder auch verschiedene Urteile des Europäischen Gerichtshofs zur Thematik. Was noch fehlte, war ein spezifisches Gesetz, dass alle Zweifel ausräumt und konkrete Maßnahmen zur Behebung des Problems vorgibt.
Derartige Bestimmungen wurden mit der neuen europäischen Entgelttransparenzrichtlinie („Richtlinie zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Lohntransparenz und Durchsetzungsmechanismen“) am 30. März 2023 im Europäischen Parlament verabschiedet und am 24. April 2023 durch den Rat der EU angenommen. Für die Mitgliedsstaaten gilt es nun, betreffende Statuten bis Juni 2026 in nationales Recht umzusetzen.
Bundesfrauenministerin Lisa Paus äußerte sich wie folgt zu dem „Durchbruch“: “Frauen sollen es künftig leichter haben, eine ungleiche und nicht an der Leistung ausgerichtete Entlohnung zu erkennen und ihr Recht auf gleiches Entgelt auch durchzusetzen.“
Arbeitgeberseitige Transparenz bei der Lohngestaltung nimmt innerhalb der Richtlinie eine besondere Position ein. Insgesamt werden die Rechte der Beschäftigten zur Durchsetzung des Entgeltgleichheitsgebots gestärkt.
In Deutschland gilt bereits seit dem 6. Juli 2017 das sogenannte Entgelttransparenzgesetz, das dem Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche oder gleichwertige Arbeit“ folgt und das 2006 beschlossene Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ergänzt. Auch in diesen Bestimmungen wird Transparenz für eine faire Bezahlung als elementar eingestuft. Für das deutsche Entgelttransparenzgesetz ist mit dem Inkrafttreten der europäischen Richtlinie eine Aktualisierung vorgesehen. Die neuen EU-weiten Vorgaben gehen über die bisherigen nationalen Bestimmungen hinaus. Damit werden das Entgelttransparenzgesetz und die Entgelttransparenzrichtlinie der EU künftig regelrecht verschmelzen und die Begriffe voraussichtlich zunehmend synonym verwendet.
Was regelt die Entgelttransparenzrichtlinie der EU?
Kernziel der EU-Entgelttransparenzrichtlinie ist die Durchsetzung von gleichem Entgelt für Frauen und Männer bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit. Die bislang fehlende Transparenz wird als eines der Haupthindernisse gesehen, um Lohngefälle zu beseitigen. Genau diese Offenheit soll im Zuge der Vorgaben gewährleistet werden. Darüber hinaus werden konkrete Durchsetzungsmöglichkeiten mit Sanktionen festgeschrieben.
Verbesserter Zugang zu Informationen (Individueller Auskunftsanspruch)
Schon das deutsche Entgelttransparenzgesetz verlangt eine transparente Aufklärung darüber, welche Kriterien und Verfahren für die Bestimmung sowie die letztliche Höhe des Entgelts für eine Stelle zugrunde liegen. Das bezieht sich allerdings ausschließlich auf Mitarbeitende, wohingegen die europäische Entgelttransparenzrichtlinie die Informationspflicht auch auf Bewerbende anwendet.
- Bewerbende: Organisationen sind dazu angehalten, spezifische Entgeltinformationen bereits vor dem Vorstellungsgespräch (beispielsweise in der Stellenausschreibung) bereitzustellen. Dazu zählen etwa Einstiegsgehälter oder Gehaltsspannen. So sollen faire und fundierte Lohnverhandlungen ermöglicht werden. In manchen europäischen Ländern ist ein solches Vorgehen bereits üblich – zum Beispiel in Österreich. Auch in Branchen mit Tarifbindung liegen entsprechende Voraussetzungen vor. Weiterhin dürfen potenzielle Mitarbeitende nicht mehr nach ihrer Entgeltentwicklung in früheren Angestelltenverhältnissen gefragt werden.
- Arbeitnehmende: Angestellten wird das Recht auf Auskunft über individuelle und durchschnittliche Entgelthöhen zugesprochen. Diese Informationen sind aufgeschlüsselt nach Geschlecht und vergleichbarer Arbeit abzufragen. Für Arbeitgebende gilt es objektive und vollkommen geschlechtsneutrale Kriterien zur Entgeltfestlegung bereitzustellen. Für die Übermittlung der Auskünfte ist eine Frist von zwei Monaten nach Verlangen festgelegt. Darüber hinaus müssen Arbeitnehmende jährlich über ihr Recht auf Information aufgeklärt werden. Zudem dürfen sie zur Abwendung von Lohndiskriminierung anderen gegenüber ihr Gehalt offenlegen. Ein (vertragliches) Verbot, über das Entgelt zu sprechen, ist damit nicht mehr zulässig.
Pflichten zur Berichterstattung
Mit der Entgelttransparenzrichtlinie der Europäischen Union sind Arbeitgebende dazu angehalten, regelmäßig Informationen zum geschlechtsspezifischen Entgeltgefälle an die zuständige Behörde zu übermitteln. Dabei greift ein geregeltes Prüfverfahren, das eine Bestandsaufnahme und Analyse vorsieht. Für die Unternehmen gilt es einen Ergebnisbericht zu verfassen und für alle Mitarbeitenden sichtbar zu veröffentlichen – zum Beispiel auf der Firmen-Website. Der Betriebsrat sollte bei der Überprüfung einbezogen werden.
Für das Intervall der Berichtspflicht ist die jeweilige Unternehmensgröße bestimmend:
Eine gemeinsame Entgeltbewertung mit dem Betriebsrat ist vorgesehen, falls ein geschlechtsspezifisches Lohngefälle von mindestens 5 Prozent vorliegt und keine objektive, geschlechtsneutrale Rechtfertigung gegeben ist. „Verhandlungsgeschick“ wird als Rechtfertigung nicht gewertet, da es mit der Arbeitsleistung von Angestellten nichts zu tun hat. Das geht bereits aus nationalen Rechtsprechungen des deutschen Bundesarbeitsgerichts hervor.
Effektive Durchsetzungsmöglichkeiten
Mit dem neuen EU-Entgelttransparenzgesetz bekommen Arbeitnehmende mehr Möglichkeiten, gegen Lohndiskriminierung vorzugehen und für diese auch entschädigt zu werden – sogar rückwirkend.
- Schadensersatz und Entschädigung: Angestellten wird durch die Gesetzgebung eingeräumt, bei festgestellter Diskriminierung eine Entgeltanpassung und -nachzahlung zu erwirken. Die EU-Mitgliedstaaten müssen vollständigen Schadensersatz bzw. Entschädigung gewährleisten. Bedeutet: Es sind gegebenenfalls Nachzahlungen entgangener Entgelte zu entrichten und dabei auch Boni oder Sachleistungen zu berücksichtigen. Gegebenenfalls ist Schadensersatz für entgangene Chancen, immaterielle Schäden, intersektionelle Diskriminierung und Verzugszinsen zu zahlen – ohne vorab festgelegte Obergrenze. Außerdem regelt die Richtlinie, dass betroffene Frauen nicht allein gerichtlich vorgehen müssen. Sie werden durch qualifizierte Verbände in Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren unterstützt.
- Arbeitgeberseitige Beweislast: Arbeitnehmende, die eine Diskriminierung geltend machen möchten, müssen betreffende Tatsachen lediglich glaubhaft machen. Die Beweispflicht liegt bei den jeweiligen Unternehmen. Sie sind in der Pflicht, nachzuweisen, dass keine Entgeltdiskriminierung vorliegt. Diese arbeitgeberseitige Beweislast wurde für Deutschland bereits in einem Grundsatzurteil von 2021 durch das Bundesarbeitsgericht bestätigt. Es steht den Mitgliedstaaten grundsätzlich offen, günstigere Beweislastregelungen festzulegen.
- Sanktionen: Neben Entschädigungen und Schadensersatz für die Betroffenen sind auch staatliche Sanktionen vorgesehen, die eine abschreckende Wirkung erzielen sollen. Dazu gehören vor allem empfindliche Bußgelder bei Verstößen. Die EU-Mitglieder sind dazu verpflichtet, Mindestgeldstrafen bei Nichteinhaltung des kontinentalen Entgelttransparenzgesetzes festzulegen.
Zwischenfazit: Verschiedene Hebel zur Verhinderung geschlechtsspezifischer Lohndiskriminierung
Mit der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie soll das Lohngefälle zwischen Männern und Frauen bzw. geschlechtsspezifische Lohndiskriminierungen effektiv beigelegt werden. Dafür stehen drei zentrale Instrumente bereit:
- Angestellte bekommen einen individuellen Auskunftsanspruch zugesichert.
- Unternehmen sind zu regelmäßigen betrieblichen Prüfverfahren verpflichtet.
- Es wird eine Berichtspflicht zu Gleichstellung und Entgeltgleichheit vorgeschrieben.
Die neue EU-Richtlinie zur Entgelttransparenz bringt bedeutende Verbesserungen für Arbeitnehmende mit sich, indem sie erhöhte Transparenz und weniger Einschränkungen schafft. Im Rahmen des deutschen Entgelttransparenzgesetzes mussten Vergleichsgruppen aus mindestens sechs Mitarbeitenden des anderen Geschlechts bestehen, die ähnliche Tätigkeiten ausüben. Die EU-Entgelttransparenzrichtlinie erlaubt, auch ehemalige Mitarbeitende als Referenz heranzuziehen. Zudem wird intersektionale Diskriminierung, die verschiedene Faktoren wie Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Sexualität kombiniert, berücksichtigt. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse von Mitarbeitenden mit Behinderungen, was zu einer faireren und inklusiveren Arbeitsumgebung beiträgt.
Insgesamt soll eine erhöhte Wirkung gegen Diskriminierung erzielbar sein, die sich vor allem in den folgenden Punkten ausdrückt:
- Der transparentere Umgang mit Löhnen kann dabei helfen, Defizite aufzudecken und anzufechten.
- Die Richtlinie schärft das Bewusstsein für entsprechende Probleme bei Arbeitgebenden.
- Unbewusst diskriminierende Lohnunterschiede können durch die Bestimmungen verlässlich erkannt werden.
Eine wichtige Begrenzung des Gesetzes darf dabei nicht unter den Tisch fallen: Es bietet keinen grundsätzlichen Anspruch auf gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeiten, sondern lediglich ein Verbot der pauschalen Ungleichbehandlung aus Gründen des Geschlechts. Es ist also durchaus rechtmäßig, wenn gleiche Jobs in verschiedenen Unternehmen oder auch bei unterschiedlichen Erfahrungsstufen in ein und demselben Betrieb abweichend vergütet werden.
Wie wirksam sind die Gesetze zur Entgelttransparenz?
Die Bundesregierung hat die Wirksamkeit des geltenden Entgelttransparenzgesetzes in einem Bericht überprüft. Dabei kam heraus, dass die Beschlüsse relativ wenig Beachtung finden. Das soll sich mit der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie ändern. Sie hat das Potenzial, den Sachverhalten eine höhere Relevanz zu geben. Was bei der Betrachtung der folgenden Berichtergebnisse offensichtlich nötig ist.
- Demnach haben lediglich 4 Prozent der befragten Angestellten in Betrieben der freien Wirtschaft sowie in Einrichtungen des öffentlichen Dienstes mit 200+ Beschäftigten den Auskunftsanspruch bereits einmal geltend gemacht.
- Nur bei rund 30 Prozent der befragten Firmen wurden seit 2019 die betrieblichen Entgeltstrukturen überprüft.
- Nicht mehr als zehn Prozent der Betriebe ohne tarifliche Entgeltstruktur und nur knapp 30 Prozent der Unternehmen mit tariflicher Bindung haben über Entgeltgleichheit oder Gleichstellung berichtet.
Zur Erhöhung der Wirksamkeit wird eine breitere Bekanntmachung des Gesetzes in Unternehmen und unter den Arbeitnehmenden gemeinhin als ein elementar wichtiger Faktor gesehen. Zudem bedarf es einer maximalen Klarheit und Einheitlichkeit der Regelungen sowie einer starken Vermittlung der Verbindlichkeit betreffender Instrumente. Entsprechende Voraussetzungen möchte die EU in den kommenden Jahren mit Nachdruck etablieren.
Wie Sie Lohnungleichheit in Ihrem Unternehmen souverän erkennen
Unternehmen bestimmter Größen müssen dem Entgelttransparenzgesetz bereits seit 2017 verpflichtend nachkommen. Durch die Entgelttransparenzrichtlinie der EU werden die Bestimmungen noch einmal differenzierter. Die Frage, die sich viele Verantwortliche – und womöglich auch Sie sich – dabei stellen, lautet: Wie erkennen wir überhaupt, ob eine markante Lohn(un)gleichheit bzw. eine Lohndiskriminierung vorliegt oder nicht?
Tatsächlich gibt es zur Beantwortung dieser Frage mittlerweile verschiedene technische Helfer. Mit entsprechender technologischer Unterstützung identifizieren Sie das eventuelle Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Ihrer Firma und können es letztendlich durch geeignete Maßnahmen zuverlässig beheben. Informationen manuell aus mehreren Tools oder Dokumenten zusammenzusammeln ist natürlich zeitaufwändig, bindet Ressourcen und erweist sich immer wieder als stark fehleranfällig. Diese Punkte sind gerade in einem solch empfindlichen Bereich kritisch.
Wir empfehlen Ihnen daher eine ganzheitliche Lösung, wie sie SAP SuccessFactors bietet. Hier wird es Ihnen ermöglicht, den sogenannten Gender Pay Gap über das Modul „Employee Central“ für Ihr Unternehmen konkret zu analysieren und so eine objektive Bewertungsgrundlage zu schaffen. Um zu gewährleisten, dass keine geschlechtsspezifischen Nachteile vorliegen, können Sie in SAP SuccessFactors Analytics die sogenannten Stories nutzen, in denen ein besonderer Fokus auf den Geschlechteraspekt gerichtet wird. Sie sehen mit wenig Aufwand, ob bei Ihnen eine gewichtige Differenz vorliegt und können diese gegebenenfalls umgehend beheben. Lesen Sie hierzu gerne auch unseren Blog-Beitrag „Faire Bezahlung für alle: Wie Sie die Gender Pay Gap in SAP SuccessFactors schließen“.
Fazit
Die Sicherstellung einer fairen Bezahlung von Männern und Frauen für gleiche oder gleichwertige Arbeit erhält mit der europäischen Entgelttransparenzrichtlinie mehr Relevanz. Wurden die Bestimmungen bzw. Möglichkeiten für Arbeitnehmende durch das deutsche Entgelttransparenzgesetz von 2017 bislang noch mäßig wahrgenommen, dürfte es in absehbarer Zeit zu deutlich mehr entsprechenden Informationsanfragen und Strafen kommen. Unternehmen sollten also handeln und einen eventuellen Gender Pay Gap schnellsten erkennen und schließen. Das funktioniert am effizientesten mit einer ganzheitlich ausgerichteten Technologie wie SAP SuccessFactors. Gerne unterstützen wir Sie bei der Findung der passenden Lösung für Ihr Unternehmen. Sprechen Sie uns gleich unverbindlich an!